Muss ich beim Geschäftsbericht wirklich alle 200 Seiten lesen, um im Bilde zu sein? Zum Glück nicht! Auch ein Finanzprofi hat meist nur wenig Zeit für das Detailstudium. Er geht gezielt die Schlüsselstellen an. Dabei schaut er längst nicht nur auf die Zahlen.
Stimmen die Eckdaten?
Schon im Umschlag liefert zumeist eine Tabelle einen wichtigen Überblick zu den Ertrags-, Finanz- und Vermögenslagen. Und wer die Jahreswerte miteinander vergleicht, kann bereits erste Schlüsse ziehen. Besonders wichtig: die sogenannten Kennzahlen. Sie setzen bestimmte Werte in ein Verhältnis zueinander oder werden nach bestimmten (Sonder-)Regeln errechnet: Klassische Kennzahlen sind die Umsatzrendite und die Eigenkapitalquote. Wichtige Sonderkennzahlen im Immobilienbereich sind die Mietrendite oder der Net Asset Value.
Schließlich geht es immer um die Beantwortung von drei einfachen Fragen: Rentabilität: Hat das Unternehmen angemessen verdient? Stabilität: Ist das Unternehmen solide aufgestellt? Liquidität: Kann das Unternehmen jederzeit seine Rechnung bezahlen? Sind diese gut beantwortet, dann sind die Finanzadressaten zufrieden und der Wirtschaftsprüfer gibt am Ende des Geschäftsberichts seinen „uneingeschränkten Bestätigungsvermerk“.
Versprechen gehalten?
Eine genauere Bewertung der Zahlen ergibt sich aus dem Kontext, in dem sie entstanden sind. Aufschluss darüber gibt der Lagebericht. Das ist der Teil des Geschäftsberichts, der die Geschäftsentwicklung aus Sicht des Managements erläutert. Ein wichtiger Abschnitt hier ist der „Soll-Ist-Abgleich“. Hier werden die wirtschaftlichen und nichtwirtschaftlichen Ziele für das vergangen Jahr den Werten gegenübergestellt, die das Unternehmen tatsächlich erreicht hat.
Liefert der Soll-Ist-Abgleich Abweichungen, lohnt sich der Blick auf die Erklärungen. Diese sollten plausibel sein – und konsistent. Die Konsistenz lässt sich prüfen, indem man die Aussagen mit denen an anderen Stellen im Bericht vergleicht, so zum Beispiel auch mit den Aussagen im Vorstandsbrief. Dieser kann für den Leser besonders aufschlussreich sein: Aufgrund seiner Kürze (nomen est omen) muss sich der Vorstand hier auf das Wichtige konzentrieren. Und nur an dieser Stelle kann der Vorstand etwas kommentieren. Manchmal ist auch interessant, was er hier wider Erwarten nicht aufgreift.
Was ist der Plan?
Die besonders interessanten Stellen eines Geschäftsberichts sind die, an denen es um die Zukunft geht: Auch diese finden sich im Lagebericht: im Passus zur Strategie sowie im Prognosebericht. Die Strategie beschreibt die Ziele und erklärt den grundsätzlichen Weg, wie diese erreicht werden sollen. Der Prognosebericht erläutert die konkreten Erwartungen für die weitere Geschäftsentwicklung in Wort und Zahl. Sind diese Darstellungen verbindlich und verständlich, ist es ein Indiz dafür, dass das Unternehmen auf einem guten Weg ist. Wenn nicht, ist Vorsicht geboten. Denn wie heißt es noch: „Wer nicht weiß, wo er hin will, kommt auch dort an.“