Financial Literacy

Nicht alles auf eine Karte setzen

Christian Keuschnigg im S IMMO Interview zum Status quo von Financial Literacy in Österreich: Um das Finanzwissen zu fördern, braucht es eine Reihe von Maßnahmen. Mit einer einzelnen Initiative ist es nicht getan.

Herr Keuschnigg, in Ihrer Studie erwähnen Sie, dass die Österreicher konservative Anleger sind. Was sind Ihrer Meinung nach die Hauptgründe für den geringen Wertpapierbesitz in Österreich?

Wenn die Österreicher auch mal jenseits des Sparbuchs anlegen, gehen sie natürlich ein gewisses Risiko ein, erzielen dafür aber auch einen höheren Ertrag. Sicherlich ist die Risikobereitschaft auch eine Frage der Risikoscheu und der Kultur, die vermutlich in Österreich weniger als in anderen Ländern ausgeprägt sind. Auch dürfte es einen Mangel an Information und Finanzmarktwissen geben. Wie soll jemand investieren, wenn er oder sie die Chancen und Risiken alternativer Anlagemöglichkeiten nicht kennt?

Auch das Steuersystem fördert die Risikoscheu, indem es den Verlustausgleich und Verlustvortrag zu eng fasst. Auch der Staat will offensichtlich nur die Erträge besteuern, aber mit Verlusten nichts zu tun haben und lässt die Anleger mit ihrem Risiko allein. Allerdings darf man sich von einer Änderung des privaten Anlageverhaltens, so wichtig es ist, keine Wunder erwarten. Die große Masse der Österreicher hat von vornherein wenig Finanzvermögen, weil über das Pensions- und Sozialsystem für die wesentlichen Risiken umfassend vorgesorgt ist, was private Sparmotive weitgehend ersetzt.

In Ihrem Zehn-Punkte-Programm für den österreichischen Finanzmarkt schlagen Sie eine Informationskampagne zur Steigerung des Finanzwissens in Österreich vor. Welche konkreten Inhalte wären dabei aus Ihrer Sicht am Wichtigsten?

Salopp gesprochen müssen zwei Botschaften rüberkommen: mit etwas mehr Risiko kann ich einen höheren Ertrag erzielen und mehr aus meinem hart ersparten Vermögen machen; und durch eine Mischung meiner Anlagen kann ich mittels Portfoliodiversifizierung mein Risiko begrenzen und muss nicht alles auf eine Karte setzen. Der Rest ist Fine-Tuning. Es gibt eine umfangreiche empirische Evidenz, dass die Sparer in Österreich und anderswo ihre Vermögen nicht genügend diversifiziert haben und die Mischung aus Ertrag und Risiko nicht stimmt. Die Folge sind durchaus beträchtliche Wohlfahrtsverluste.

Im österreichischen Bildungssystem wird man – sofern man nicht eine einschlägige Ausbildung absolviert – wenig bis gar nicht mit Finanzinhalten konfrontiert. Was könnte ein möglicher Ansatz sein, um diese Situation zu verändern?

Man müsste wohl in allen Schulen dem Wirtschaftswissen im Lehrplan etwas mehr Raum geben. Man muss es ja nicht gleich übertreiben und den Lehrplan überfrachten. Mit Wirtschaft hat aber jeder zu tun: Jobsicherheit gibt es nur mit einer stabilen Konjunktur. Aussichten auf Lohnzuwächse und Karriere gibt es nur, wenn die Wirtschaft kräftig wächst. Abgesehen davon, was ich aus meinen Ersparnissen machen kann, gibt es günstige und stabile Finanzierung für Wohnbau, Staat und die Wirtschaft nur, wenn das Finanzsystem leistungsfähig ist, sprich Wachstum finanziert, durch Diversifizierung in großem Stil Risiken abbaut und wie ein Stoßdämpfer die Konjunkturschwankungen auffängt. Wie sonst sollen wir zu sicheren Jobs und kräftig wachsenden Löhnen kommen? Wenn die Schulen mit ihrem Lehrplan nicht an den persönlichen Bedürfnissen und Ängsten der Menschen vorbeiunterrichten wollen, sollten sie das Wirtschafts- und Finanzwissen nicht vernachlässigen. Jenseits des Lehrplans gibt es viele andere Möglichkeiten, wie Aufsatzwettbewerbe, Veranstaltungen und natürlich Einladungen der Wirtschaft, die auch ihren Teil beitragen muss, wenn sie in der Bevölkerung Rückhalt und damit Zusammenhalt pflegen will.

Was wären die wichtigsten Maßnahmen vonseiten der Politik, die aktuell zur Steigerung der Bedeutung des Kapitalmarkts getroffen werden sollten?

Da braucht es einen ganzen Kranz von Maßnahmen, mit einer isolierten Initiative ist es nicht getan. Wichtig ist ein Review des Kapitalmarktrechts, also Transparenzvorschriften, Corporate Governance und ein klares Insolvenzrecht. Wenn diese Politikfelder nicht stimmen, können die Anleger kein Vertrauen haben und werden sich auf dem Kapitalmarkt nicht engagieren. Die Besteuerung darf Risikokapital nicht diskriminieren, wenn wir doch nichts dringender brauchen als Risikokapital. Die steuerliche Begünstigung des Fremdkapitals, das einen festen Zins fordert und damit möglichst wenig Risiko tragen will, auf Kosten des Eigenkapitals, welches den anderen das Risiko abnimmt und selber trägt, muss verschwinden. Eine Informationskampagne braucht es auch, in den Schulen, in den Medien und vonseiten der Wirtschaft. Aber alles wird nur wenig Wirkung zeigen, wenn nicht mehr Volumen und Liquidität auf den Kapitalmarkt kommt.

In Österreich fehlen die großen institutionellen Anleger wie Pensionskassen, die auf allen großen Finanzplätzen eine bedeutende Rolle spielen. Auch für die Alterssicherung gilt: bitte nicht alles auf die eine einzige Karte des Umlagesystems setzen, sondern wenigstens einige Prozentpunkte der gesetzlichen Pensionsbeiträge in den Aufbau eines kapitalgedeckten Systems lenken, damit die Alterseinkommen auf mehreren Beinen stehen. Ich sehe keine andere Möglichkeit, wirklich wesentlich den österreichischen Kapitalmarkt aufzubauen. Und es ist ein langsamer Prozess. In vielleicht zwanzig Jahren kann ein Anlagevolumen der Pensionskassen, das diese im Interesse der Versicherten anlegen müssen, von 20 bis 40 % des BIPs zustande kommen. Das wäre im internationalen Vergleich großer Finanzplätze bescheiden aber für Österreich ein gewaltige Verbesserung.

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Autor*in

Christian Keuschnigg

Christian Keuschnigg ist Professor für Nationalökonomie an der Universität St. Gallen und leitet das Wirtschaftspolitische Zentrum in Wien. Im August vergangenen Jahres hat er seine Studie „Finanzplatz Österreich“ präsentiert und auf Basis der Ergebnisse unter anderem auch Maßnahmen zur Förderung des Finanzwissens vorgeschlagen. Mehr Information dazu auf www.wpz-fgn.com/forschung/studien.