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Künstliche Intelligenz in der Immobilienbranche

Christian Schitton verstärkt seit August die Rechtsabteilung der S IMMO bei Transaktionen. Im Interview zum Thema „künstliche Intelligenz in der Immobilienbranche“ spricht er über technische sowie Risiko-Zwillinge, Frühwarnsysteme und den Status quo im Sektor.

Welche Anwendungsgebiete gibt es für die KI in der Immobilienbranche und wie sieht der Status quo aus?

Immobilien verfügen über eine größere Anzahl von Schnittpunkten zu künstlicher Intelligenz. Damit gibt es auch relativ viele Anwendungsgebiete der KI in der Immobilienbranche, z.B. über PropTech-, InsurTech- oder RiskTech-Anwendungen. Für besonders interessant halte ich im PropTech-Bereich den Einsatz technischer Zwillinge sowie im RiskTech-Bereich die Anwendung von Risiko-Zwillingen, die man mithilfe von künstlicher Intelligenz und quantitativer statistischer Methoden entwickeln kann. Generell hinkt die Immobilienbranche technisch noch etwas hinterher. Ich persönlich beschäftige mich viel mit RiskTech-Modellen – ein Anwendungsgebiet, das in der Immobilienbranche noch nicht sehr weit entwickelt ist.

Jedoch entsteht hier von rechtlicher Seite immer mehr Druck, etwa Risikofrühwarnsysteme und damit das Thema RiskTech-Applikationen in den Risikoprozess von Unternehmen zu integrieren. Wie wichtig dieses Thema ist, zeigt sich darin, dass es bereits entsprechende EU-Richtlinien für größere Unternehmen gibt, die nationale Gesetzgeber schön langsam umsetzen müssen. Deutschland ist hier schon sehr weit und hat mit Ende 2021 gesetzliche Regelungen ausgerollt und damit die Implementierung von Prozessen zur Risikofrüherkennung eingefordert. Darüber hinaus wurde die Überprüfung der Integration und laufenden Anwendung dieser Frühwarnprozesse in entsprechenden Prüfungsstandards für Wirtschaftsprüfer:innen in Deutschland festgeschrieben. Österreich ist hier noch nicht so weit, wird sich aber langsam in diese Richtung entwickeln.

Welche Anwendungen werden die Branche deiner Meinung nach in der kommenden Zeit am meisten revolutionieren?

Ich denke, dass technische Zwillinge, die Gebäude mit ihren komplexen Prozessen digitalisiert abbilden können, stark im Kommen sind. Das liegt auch daran, dass die Modelle, die dafür notwendig sind, immer besser werden. Ebenso sind Risiko-Zwillinge auf dem Vormarsch, die sämtliche Risiko-Aspekte eines Immobilienportfolios oder eines Unternehmens digitalisiert miteinander verbinden können, eine aggregierte Risikodarstellung schaffen und gleichzeitig auch prognosebasierte Modelle zur Früherkennung von Risikoentwicklungen ermöglichen. Es lassen sich damit automatisiert verschiedene Abfragen aus dem System ziehen, die auf die risikotechnisch relevanten Aspekte verschiedener Entscheidungsträger:innen wie Asset Management oder Investment Management und nicht zuletzt Vorstand bzw. Geschäftsführung zugeschnitten werden können.

Der Umstand, dass sich der Immobilienmarkt derzeit im Umbruch befindet und momentan viel Unsicherheit herrscht, trägt nur dazu bei, dass Risikofrühwarnsysteme relevanter werden. Wir befinden uns an einem spannenden Punkt, an dem sowohl viele Risiken als auch Opportunitäten am Markt entstehen. Risikofrühwarnsysteme helfen dabei, zukünftige Marktszenarien und deren Eintrittswahrscheinlichkeiten frühzeitig zu antizipieren. Das wiederum erlaubt es Entscheidungsträger:innen, im Rahmen der eigenen Risikoprofile rechtzeitig geeignete Maßnahmen zu setzen.

Richtig eingesetzt können diese Techniken ein ganz wichtiges und effizientes Support System für Entscheidungsträger:innen bilden. Risikofrühwarnmodelle können gerade im Immobilienbereich den nötigen zeitlichen Vorsprung schaffen, insbesondere da Immobilientransaktionen zwischen Entscheidung und finaler Durchführung einen eher längeren Zeitpunkt in Anspruch nehmen können.

Wo liegen Problemfelder im Zusammenhang mit der KI in der Immobilienbranche? Wie kann die Branche von der KI profitieren?

Dass die Immobilienbranche hier nachhinkt, ist teilweise sicherlich der Datenmenge bzw. Datenfrequenz geschuldet, die ich benötige, um ein Modell in geeigneter Form trainieren zu können. Das merkt man auch daran, dass viele Immobilienunternehmen im Kontext der Digitalisierung eher von Datenaufbereitung sprechen, auf die Modelle der künstlichen Intelligenz in Folge erst aufsetzen.

Möchte man zum Beispiel eine Marktsimulation rechnen, muss man auf entsprechende Marktdaten zugreifen können, wobei wir im kommerziellen Immobilienbereich eher nur auf monatliche bzw. vierteljährliche Markt-Updates zurückgreifen können. Die zeitliche Datenfrequenz ist also nicht so hoch wie z.B. etwa bei Aktienkursnotierungen. Diesem Nachteil kann aber entgegengewirkt werden, indem bei quantitativen Risiko-Applikationen vor allem auf statistische Methoden zurückgegriffen wird. Anwendungen der KI kann man aber etwa wieder über Natural Language Processing (NLP) Modelle in die Gesamtrisikobetrachtung integrieren. Im Falle von NLP-Modellen kann ich die Kommunikationsmuster von Marktteilnehmer:innen in Abhängigkeit von der jeweiligen Marktsituation mit Hilfe von Machine Learning Modellen, aber vor allem mit Deep Learning Applikationen, analysieren und gemeinsam mit den quantitativen Risikomodellen für Risikofrühwarnprozesse nutzen. Und im Gegensatz zu den monatlichen bzw. vierteljährlichen Markt-Updates wird in diesem Fall ständig in Form von Interviews, Artikeln, Veröffentlichungen oder auch Bilanzpressekonferenzen kommuniziert. Es stehen also mehr als ausreichend Daten zur Verfügung.

Bei den technischen Zwillingen im PropTech-Bereich ist die Datensituation grundsätzlich eine andere. Hier kann ich zum Beispiel minütlich die Raumtemperatur, die Luftfeuchtigkeit, Wetterdaten, die Betriebszeit von Aufzügen und ähnliches Datenmaterial abfragen. Dies lässt eine bessere Anwendung klassischer Methoden der künstlichen Intelligenz zu. Hier spielen wir ganz stark in das Thema IoT (Internet of Things), sowie Machine Learning/ Deep Learning. Darüber hinaus ist hier der effiziente Aufbau und der Einsatz von Datenbanksystemen ganz entscheidend, um technische Zwillinge effizient nutzen zu können.

Ein weiteres Problemfeld liegt in der Tatsache, dass Entscheidungsträger:innen beim Einsatz solcher Applikationen lernen müssen, in Wahrscheinlichkeiten zu denken. So geben etwa Risikofrühwarnsysteme keine punktgenaue Prognose bestimmter Marktparameter, z.B. die genaue Höhe der Investitionsrendite in fünf Jahren. Vielmehr werden unter Berücksichtigung sämtlicher relevanter Markt- und Portfolioparameter verschiedene Marktszenarien errechnet und in entsprechende Portfoliokennzahlen übergeleitet, die aber unterschiedliche Eintrittswahrscheinlichkeiten aufweisen. So könnten Entscheidungsträger:innen mit der Situation konfrontiert werden, dass ein gehaltenes Immobilienportfolio innerhalb des geplanten Investitionszeitraums eine über 50 %-ige Wahrscheinlichkeit aufweist, die geforderte Mindesteigenkapitalrendite zu erreichen, und gleichzeitig eine 10 %-ige Verlustwahrscheinlichkeit angibt. Da liegt es an den Entscheidungsträger:innen, diese Szenarien mit dem Risikoappetit/ Risikoprofil des Unternehmens abzugleichen und die entsprechenden Schlussfolgerungen zu ziehen. Das geht etwas über das Denken in Base Case, Worst Case und Best Case Szenarien hinaus, ist aber wesentlich schneller, effizienter und hängt nicht von der subjektiven Einschätzung der beteiligten Personen ab.

Was bedeutet das für die menschliche Arbeitskraft in der Branche?

Zum einen werden sicherlich zusätzliche Positionen geschaffen, da man Leute benötigt, die Modelle für entsprechende Aufgabenstellungen bauen bzw. entwickeln und auch interpretieren können. Zum anderen bedeutet es für Mitarbeiter:innen, dass sie wesentlich besser in ihrer Entscheidungsfindung unterstützt werden. Dadurch können sie sich mehr auf ihre Kernkompetenzen konzentrieren, indem sie Früherkennungsapplikationen oder PropTech-Anwendungen in ihren eigenen Arbeitsbereich integrieren. Diese können ihnen für vielseitige Fragestellungen Antworten liefern, mit denen sie, zusammen mit ihrer eigenen Erfahrung und Expertise, in Folge wesentlich besser arbeiten können.

 

Foto © Christina Häusler

 

Autor*in

Elisabeth Kölbl

Elisabeth Kölbl war in der Abteilung Unternehmenskommunikation & Investor Relations der S IMMO tätig. Neben klassischer Medienarbeit fiel unter anderem auch dieser Blog in ihren Aufgabenbereich. Abseits des Berufslebens sind das Tanzen, Reisen und das Lernen von Sprachen ihre Lieblingsbeschäftigungen.