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ESG in der Immobilienbranche

Was bedeutet der Trendbegriff „ESG“ im Hinblick auf Immobilien überhaupt? Sind international vorgegebene Standards in der Realität umsetzbar? Und welche Auswirkungen auf die Immobilienbranche zeichnen sich durch die COVID-19 Krise ab? Präsident des HuGBC (Hungary Green Building Council) und BREEAM AP Zsombor Barta bringt etwas Licht ins Dunkel.

Herr Barta, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für ein Interview nehmen! Würden Sie sich und Ihren Tätigkeitsbereich kurz vorstellen?

Gerne, ich habe mehrere Hüte auf. In erster Linie beschäftige ich mich bei Greenbors Consulting mit dem Thema nachhaltiges Bauen. In Mitteleuropa war ich einer der ersten BREEAM akkreditierten Zertifizierer, und führe mit Greenbors Consulting nicht nur in Ungarn, sondern auch in ganz Mitteleuropa in großem Ausmaß BREEAM, LEED sowie WELL Zertifizierungen durch, die den Rahmen für unsere Dienstleistungen wie Lebenszyklusanalysen, CO2 Forecasts oder Beratung der Geldgeber von Immobilienprojekten bilden. Darüber hinaus bin ich Präsident des HuGBC, der auch als vollwertiges Mitglied im internationalen Netzwerk des World Green Building Council vertreten ist. Wir stehen in regem Austausch mit Kollegen anderer Länder bezüglich aktueller Themen und üben eine Art Lobbying auf nationaler und internationaler Ebene aus. Zu guter Letzt fungiere ich als Teil eines unabhängigen Beratungsgremiums (National Council for Sustainable Development) als Senior parlamentarischer Berater für das ungarische Parlament. Wir bieten unabhängige Beratung bei Gesetzesentwürfen, arbeiten international mit den jeweiligen Beratungsgremien anderer EU und UNO Staaten zusammen und berichten alle zwei Jahre über den Nachhaltigkeitsfortschritt Ungarns.

Welche nationale und internationale Regulatorik sowie Standards sehen Sie als Treiber für eine nachhaltigere Immobilienwirtschaft? Wie sieht es mit der praktischen Umsetzung bei Bestand und Entwicklung aus?

Ich sehe hier in Mitteleuropa in erster Linie die internationalen Zertifizierungssysteme als einen wichtigen Treiber. Zwar sind sie mittlerweile fast schon „old school“, da sie seit fünfzehn Jahren am Markt sind, gelten aber trotz ihres nicht verpflichtenden Charakters für hochqualitative Immobilienprojekte als normaler Standard.  Als quasi optionales „Muss“ bilden sie durch laufende Aktualisierungen, die die ganz wichtigen Fragen der Immobilienwirtschaft behandeln, trotzdem gute Rahmenbedingungen für die neuen Nachhaltigkeitsinputs, die auf den Markt kommen. Auch wenn sie alleine nicht ausreichen, helfen sie dabei, systematisch nachhaltig zu denken was die Planung, die Verwirklichung und den Bestand von Immobilien angeht.

Bezüglich der Umsetzung von Nachhaltigkeitsaspekten gibt es zwei Ansätze. Der eine besagt, dass die Regulatoren als Antreiber voranschreiten müssen, damit die Privatwirtschaft im nächsten Schritt diese Vorgaben verstärkt implementieren kann. Ich sehe das Ganze ein bisschen anders, was vielleicht daran liegt, dass ich vieles von einem ungarisch geprägten Standpunkt aus betrachte. In Ungarn waren die Nachhaltigkeitsansätze der privaten Marktwirtschaft zuerst da und bis heute ist es so, dass es keine genehmigungstechnischen Verfahren oder Vorteile gibt, die mit einer Zertifizierung verknüpft sind, wie es zum Beispiel in Nordamerika der Fall ist. In Mitteleuropa hat nicht der Staat, sondern die Immobilienwirtschaft, begonnen, vor ca. fünfzehn Jahren mit Zertifizierungsstandards voranzuschreiten und das zeigt mir, dass auch bei einer fehlenden regulatorischen Umgebung vieles machbar ist. Auf der anderen Seite kann es auch sein, dass die Regulatorik Barrieren bei der Umsetzung bedeutet, was in den letzten Jahren zum Beispiel bei Bemühungen der Umsetzung einer Kreislaufwirtschaft der Fall war. Hier gab und gibt es viele regulatorische Bedingungen und Behinderungen, die dazu führen, dass die Kreislaufwirtschaft als holistisches System im Immobiliensektor einfach noch nicht richtig angewendet werden kann. In dem Fall muss der Regulator nachziehen und Rahmenbedingungen schaffen, die eine Umsetzung ermöglichen. In jedem Fall sehe ich die Notwendigkeit eines verstärkten wechselwirksamen Zusammenspiels.

Inwiefern spielen das „S“ und das „G“ des Trendbegriffs „ESG“ bei Immobilien überhaupt eine Rolle?

Hier muss man den Fokus ein bisschen von der Immobilie selbst weglenken. Es gibt immer auch einen Bestandsbetreiber, also jemanden, der Facility bzw. Asset Management macht. Insofern ist der „Social“ bzw. „Governance“ Faktor leicht anzuwenden, indem man bei einer Immobilie im Sinne von ESG auch immer das Unternehmen mit einbezieht, das das Objekt betreibt. Zu den „Social“ und „Governance“ Faktoren zählt dann zum Beispiel, wie ein Unternehmen mit den Mitarbeiter:innen umgeht oder wo der Schwerpunkt in Sachen Finanzierung liegt. Gerade im Hinblick auf das „Social“ in ESG sieht man in den letzten Jahren, dass es an Bedeutung gewinnt. Am Büroimmobilienmarkt in Budapest sieht man, dass Gebäude nicht mehr als geschlossene Einheit entwickelt, sondern mit öffentlich zugänglichen Bereichen, wie Spielplätzen oder Grünflächen, geplant werden.

Wie hat sich die COVID-19 Pandemie auf die Immobilienbranche ausgewirkt? Welche Trends in Sachen Nachhaltigkeit zeichnen sich seither ab?

Ich denke, dass die Pandemie einen eher positiven Schub für die Nachhaltigkeit bewirkt hat – nicht nur im Hinblick auf die Umwelt, sondern auch in Bezug auf die Gesellschaft und die Wirtschaft. Diese Nachhaltigkeitsbestrebungen sind jedoch durch den Krieg in der Ukraine nun stark gebremst worden. Kriege im Allgemeinen bedeuten nicht gerade ein optimales Umfeld für Nachhaltigkeit. Sie setzen einen finanziellen Teufelskreis in Gang, man muss nur an die hohen Inflationsraten, die Energiesicherheit, den Materialnachschub und die Logistikschwierigkeiten denken. Das sind alles komplexe Themen, die mehr Unsicherheit bedeuten und dazu führen, dass man sich mehr auf das (finanzielle) Überleben konzentriert, anstatt systematisch und langfristig zu denken. Das höre ich auch von sehr vielen Unternehmen und Partnern, dass es jetzt nachrangig ist, ob Baumaterialien nachhaltig hergestellt und transportiert werden. Dadurch, dass man durch Lieferengpässe nicht weiß, wie man überhaupt morgen Stahl, Fenster oder Türen beschaffen soll, ist die Nachhaltigkeit in die Schublade zurückgelegt, der Handlungsspielraum beschränkt geworden. Ein sozusagen „positiver“ Nebeneffekt des Kriegs ist auf der anderen Seite, dass man viel rascher versucht, von Russland und damit von fossilen Brennstoffen unabhängig zu werden.

Die größte Herausforderung der nächsten Jahre ist für die Immobilienbranche im Hinblick auf ESG und Nachhaltigkeit in Ihren Augen…

Momentan reden wir zwar immer mehr über Nachhaltigkeit, aber global gesehen geht die Kurve der CO2 Emissionen immer weiter nach oben. Eine der größten Hürden, auf die auch die EU-Taxonomie stark abzielt, deren Richtlinien vorsehen, dass eine wirtschaftliche Tätigkeit nur dann als nachhaltig bezeichnet werden kann, wenn sie deren Vorgaben erfüllt, sehe ich daher in der Energieeffizienz und dem tatsächlichen Rückgang des CO2-Ausstoßes. Das gilt sowohl für die Planung und den Bau (embedded carbon) von Immobilien, als auch für den direkten Ausstoß, sprich für den Bestand. Erst vor kurzem wurde ich gefragt, ob ich eine „Best Practice“ Büro oder Retail Net Zero Operational Immobilie nennen kann, die schon jetzt kein CO2 ausstößt. Und da dachte ich: mein Gott, eigentlich reden wir seit fünfzehn Jahren darüber, aber ich könnte jetzt kein einziges Projekt nennen, dass das tatsächlich nachweislich schafft. Natürlich gibt es private Wohnbauten oder kleine Hoteleinheiten, die diese Vorgaben erfüllen, aber bei großen Immobilienprojekten kann ich kein einziges aus Mitteleuropa nennen. Ich muss aber dazu sagen, dass das Büroprojekt Essence Garden der S IMMO hier positiv hervorzuheben ist.  Ich kannte bisher kein einziges Projekt, bei dem schon bei der Planung ein so großer Wert auf Nachhaltigkeit, CO2 Emissionen, Energieeffizienz, Erfüllung der EU-Taxonomie und Zukunftssicherheit gelegt wird – dementsprechend würde ich Essence Garden als vielversprechendes „Lighthouse“ Projekt hervorheben.

 

Autor*in

Elisabeth Kölbl

Elisabeth Kölbl war in der Abteilung Unternehmenskommunikation & Investor Relations der S IMMO tätig. Neben klassischer Medienarbeit fiel unter anderem auch dieser Blog in ihren Aufgabenbereich. Abseits des Berufslebens sind das Tanzen, Reisen und das Lernen von Sprachen ihre Lieblingsbeschäftigungen.